Tomasz Paczewski: Territorium – Malerei

Ausstellung im Palais Rastede
12. Juli bis 6. September 2020

Tomasz Paczewski
Territorium
Malerei

Der Künstler Tomasz Paczewski nennt seine in den letzten Jahren entstandenen Arbeiten „Geschichten ohne Handlung“. Im Zentrum erkennen wir zunächst die menschliche Figur. Sie tritt als Einzelperson, als Paar oder als Gruppe aus dem abstrakten Raum heraus, wird aber nicht identifizierbar. So wie die Gesichtszüge unklar bleiben, so können wir auch das lediglich angedeutete Handeln und die Gesprächsthemen nicht entschlüsseln. Die Personen gehen ihres Weges, stehen beieinander, richten ihren Blick in dieselbe Richtung. Doch wir können nur Vermutungen darüber anstellen, ob gerade etwas Bedeutungsvolles geschieht oder ob es sich um eine alltägliche, zufällige Begebenheit handelt.

„Vermeintlich Unbedeutendes wird in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und bleibt doch rätselhaft verschlüsselt. Der Blick wird zurückgewiesen und doch magisch immer wieder auf die‚ absichtsvolle Unabsichtlichkeit‘ gerichtet, die im Mittelpunkt der Bilderfindung steht.“ (Beatrix Nobis).

Diese Rätselhaftigkeit und Unklarheit in den Arbeiten von Tomasz Paczewski werden verstärkt durch die Auflösung des Bildraums, die es erschwert die Personen in einer uns vertrauten Umgebung zu verorten. Die Arbeiten wirken auf den ersten Blick verpixelt oder gerastert. Sie scheinen vor unseren Augen zu flimmern. Die Fläche ist durch kleinteilige Flecken und fließende Strukturen zerstreut, aus denen die Figuren heraustreten und von denen sie doch gleichzeitig gehalten werden. Damit verweist Tomasz Paczewski auf die sich ständig verändernde und instabile Beziehung zwischen Einzelpersonen und ihrer Umgebung sowie ihres Territoriums.

Geboren wurde Tomasz Paczewski in Warschau, wo er von 1983 bis 1988 an der Akademie der Schönen Künste studierte. Seit 30 Jahren lebt er in Norddeutschland, studierte Bildende Kunst an der FH Hannover und war 1998 Meisterschüler bei Prof. Redeker. Der Künstler erhielt mehrere Preise und Stipendien und hatte seit 1988 zahlreiche Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland. Er lebt und arbeitet in Hamburg.

www.paczewski.de


ERÖFFNUNG und EINFÜHRUNG

Aufgrund der momentan geltenden Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus wird es am 12.7.2020 keine Vernissage geben können.

Der Künstler Tomasz Paczewski ist an diesem Tag von 11.30 – 14.00 Uhr anwesend.

Gehen Sie zusammen mit Dr. Rainer Beßling – Kunstkritiker und Kulturjournalist – gemeinsam auf Entdeckungstour durch die Ausstellung und lernen Sie den Künstler und seine Arbeiten kennen. Dieser Rundgang steht Ihnen dann als Video digital in der Ausstellung zur Verfügung oder auf unserem » Youtube Kanal


Interview zwischen Tomasz Paczewski (TP) und Dr. Claudia Thoben (CT) anlässlich der Ausstellung „Territorium“ im Palais Rastede vom 12.7. bis 6.9.2020 im Palais Rastede

CT: Lieber Tomasz Paczewski, wir freuen uns sehr, dass wir die Ausstellung Ihrer Arbeiten am 12. Juli eröffnen dürfen. Leider wird es keine Vernissage im üblichen Rahmen geben können. Deshalb möchten wir Sie auf diesem Weg unseren Gästen vorstellen.

Der Titel der Ausstellung lautet „Territorium“. Ein Territorium wird in erster Linie als geographisch abgegrenztes oder hoheitliches Gebiet verstanden. Im Tierreich gibt es den synonymen Begriff „Revier“ – der Lebensraum, der verteidigt wird. Welche Gedanken haben Sie zu diesem Titel geführt?

TP: Keine der beiden Definitionen ist für den Titel zutreffend. Für mich handelt es sich um einen metaphorischen Begriff – im Sinne eines geistigen Territoriums. Ich zeige in der Ausstellung Themen, die mich in den letzten Jahren intensiv beschäftigt haben. Zu sehen sind Arbeiten z.B. aus den Reihen „Boten“, „Massen“, „Doppel / Gänger“ und „Heidberg“. Diese thematischen Reihen begleiten mich über viele Jahre. So ist das älteste Bild in der Ausstellung vor siebzehneinhalb Jahren, das jüngste vor eineinhalb Monaten entstanden.

CT:Stellten die Räume des Palais einen besonderen Reiz für Sie als Künstler dar?

TP: Als ausstellender Künstler muss man im Palais ein ganz anderes Konzept entwickeln als in einem „white cube“, einem schlicht weißen Ausstellungsraum. Es ist eine besondere Herausforderung seine Arbeiten für dieses Ambiente auszuwählen und zu positionieren. Jeder der neun Räume verfügt über eine eigene Farbigkeit, architektonische Details und Ausstattung. Auch die Wirkung der Außenwelt, des Gartens, muss einbezogen werden. Die Wandflächen sind begrenzt und lassen nur bedingt große Formate zu. Ich betrachte die einzelnen Räume des Palais als Inseln, die meine Bilder aufnehmen.

CT: Eine Reihe nennt sich „Boten“. Beim Begriff Boten denke ich sofort an die Nachricht, die sie überbringen und bin neugierig auf den Inhalt – selbst dann, wenn es eine Hiobsbotschaft sein sollte. Die Nachricht Ihrer Boten ist aber nicht zu entschlüsseln.

TP: Ja, weil die Figur selbst die Botschaft ist. Jeder Mensch ist in diesem Sinne ein Bote, der auf verschiedenste Weise etwas mitteilt. Aus dem, was ich male, und während des Malprozesses ergeben sich Fragen – auch bei mir selbst. Der Betrachter ist aufgefordert zwischen Sehen, Vermuten und Wissen zu differenzieren. Dies ist ein Spiel, das ich manchmal mit einem Bildtitel – wie z.B. „Verschwörung“ unterstütze. Eine Lösung oder Antwort biete ich aber nicht an.

CT: Bei den Arbeiten der Reihe „Massen“ fällt es dem Betrachter schwer, sich zu orientieren und seinen Blick zu fixieren. Die unzähligen Punkte und Flecken erinnern an eine grob gerasterte Abbildung mit unklaren Konturen, die wir in unserem Gehirn zu einem Bild ergänzen. Auch hier bleibt viel Raum für unsere Deutung.

TP: Hier haben mich andere Fragen beschäftigt. Vor allem geht es mir in diesen Arbeiten um das Verhältnis von Individuum und Masse. Inwieweit sind individuelle Merkmale erkennbar, wenn sich Menschen in einer größeren Menschenansammlung bewegen? Verschwinden diese in der anonymen Masse und inwieweit lösen sie sich auf? Oder: inwieweit spaltet sich die Masse in Individuen auf?

CT: Ja, es stellen sich sehr spannende Fragen nach Selbstbehauptung, aber auch nach Verantwortlichkeit und Manipulierbarkeit. Durch die malerische Auflösung des Bildgrundes in ihren Arbeiten und Ihre verständliche Verweigerung Antworten zu liefern, erinnern Sie uns daran, dass es keinen geschützten Raum gibt.

TP: Geschützte Räume sind eine Illusion. Es gibt keine Gewissheiten und Sicherheit, wann unser Wahrnehmung bereits in den Bereich des Deutens und vermeintlichen Wissens übergeht. Wenn Sie mich nach der Grundstimmung meiner Arbeiten fragen, dann ist es der beständige Zweifel.

CT: Es ist ein skeptisch-ironischer Zweifel, der sich in vielen Arbeiten auch durch ein humorvolles Augenzwinkern bemerkbar macht. So finden sich überraschende Attribute wie Heiligenschein, Gasmaske oder etwas Pilzartiges, das eine menschliche Figur über ihren Kopf gestülpt hat. Noch nie in einer Ausstellung wurden Bilder aus der Reihe „Heidberg“ gezeigt. Fast drei Räume sind diesen Arbeiten gewidmet, in denen filigrane Gräser, Blüten und andere nicht klassifizierbare Gewächse und Kraut die Hauptrolle spielen.

TP: Diese Reihe ist für mich wie ein Sprung in ein anderes Wasser. „Heidberg“ ist kein geographisch bestimmbarer Ort, sondern ein Niemandsland, das überall sein könnte. Die Arbeiten sind ein Spiel mit dem Mikro- und Makrokosmos. Das Kraut, das sich in seinem Umfeld behauptet und an dem wir sonst achtlos vorbeigehen, wird zum Bildinhalt.

CT: Eine letzte Frage geht zu einem anderen Thema: Sie sind in Warschau geboren und leben seit 1990 in Deutschland. Erst in diesem Jahr hat die Gemeinde Rastede beschlossen, eine Partnerschaft mit der polnischen Gemeinde Dobrzyca einzugehen. Leider mussten die Feierlichkeiten verschoben werden. (Es folgen zigfache Korrekturen der Aussprache des Ortsnamens [dɔ’bʒɨtsa]) In beiden Kommunen stehen klassizistische Paläste mit Parkanlagen. Haben Sie eine Idee, wie wir diese Partnerschaft mit Leben füllen können?

TP: Es gilt das, was immer gelten sollte, wenn man auf Menschen trifft: Sich unvoreingenommen Kennenlernen. Neugierig und offen sein – auf die Menschen und die Geschichte. Man sollte immer Ähnlichkeiten und das Gemeinsame suchen und nicht die Unterschiede. Dazu fällt mir der Titel eines Songs der „Einstürzenden Neubauten“ ein mit dem Titel „Was ist die Befindlichkeit des Landes?“ Dies gilt es herauszufinden.

CT: Das genaue Hinsehen und nicht vorschnelle Deuten gilt also auch für diese bevorstehende Begegnung – genauso wie für die Begegnung mit Ihren Bildern.
Lieber Herr Paczewski – vielen Dank für Ihre Antworten und für die vielen Gespräche in den letzten Tagen.

TP: Vielen Dank. Es freut mich sehr, meine Arbeiten in Rastede zeigen zu können.


Öffnungszeiten:

Mittwoch-Freitag 14-17 Uhr und Sonntag 11-17 Uhr

Die Ausstellung wird gefördert durch die Gemeinde Rastede und den Landkreis Ammerland.